Rote Energiewende

Chancen nutzen und Perspektiven eröffnen
Mit der ROTEN ENERGIEWENDE in die Zukunft

Solidarisch           –        Nachhaltig           –        Erfolgreich
Positionspapier zur sozialdemokratischen „ROTEN ENERGIEWENDE“

 

Abstract: Warum ein Papier zur ROTEN ENERGIEWENDE?

Das vorliegende Papier unterbreitet unter der Überschrift „ROTE ENERGIEWENDE – solidarisch, nachhaltig, erfolgreich“ einen konkreten Vorschlag für sozialdemokratische Politikgestaltung, die sich den Zielen Umwelt- und Klimaschutz, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen sowie Technologieförderung in Deutschland verpflichtet sieht.

Wir spielen Umweltschutz nicht gegen soziale Interessen und Beschäftigte aus. Mit der SPD wird die Energiewende zu einer sozialdemokratischen Erzählung, die Verantwortung, Innovation und Gerechtigkeit miteinander verbindet.

Die ROTE ENERGIEWENDE ist ein Plädoyer dafür, die Technik der Sektoren Wärme, Strom und Verkehr ökologisch, ökonomisch und sozial zusammenzudenken und sie zukünftig besser miteinander zu vernetzen. Sektorenkopplung ist das Stichwort – vor allem mit intelligenten und flexiblen Speichertechnologien. So können wir zukünftig grüne Energie mittels Power-to-Gas bzw. Power-to-Liquid umwandeln und speichern, um damit  beispielweise Wärmepumpen oder emissionsfreie Wasserstofffahrzeuge zu versorgen. Sektorenkopplung als strategischer Ansatz sozialdemokratischer Wirtschafts- und Energiepolitik macht die Herausforderungen der Energiewende beherrschbar und sichert durch den Aufbau und Betrieb entsprechender Infrastruktur Wertschöpfung in den Regionen. Dafür kommen insbesondere solche Regionen in Frage, die von der Energiewende in besonderer Weise betroffen sein werden, wie etwa die Kohlereviere.

Gleichzeitig aber entfaltet sich hier auch das entwicklungspolitische Potential der ROTEN ENERGIEWENDE: Die internationale Kooperation bei der Energiewende kann auch dazu genutzt werden, um in Entwicklungsländern mittels deutscher Technologie Wertschöpfungsketten aufzubauen und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.

In vielen Technologien der Sektorenkopplung – wie etwa der Wasserstoffproduktion oder der Brennstoffzelle – ist Deutschland bislang noch unter den Technologieführern. Diese Position müssen wir nutzen und ausbauen. Alleine der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft kann schnell bis zu 100.000 Arbeitsplätze schaffen. Gesteigerter Bedarf entsteht beispielsweise für Fachkräfte aus dem Ingenieurswesen (bspw. Elektronik und  Maschinenbau), aus der Mechatronik, der Servicetechnik, der Anlagenmechanik, dem Rohrleitungsbau sowie für Kaufleute und Verwaltungskräfte. Mittel- und langfristig sind die positiven Arbeitsplatzeffekte noch größer.

Die ROTE ENERGIEWENDE gibt somit eine Antwort auf die Frage, wie Politik und Wirtschaft Strukturbrüche verhindern und den Wandel gestalten können – insbesondere dort, wo der Bedarf und die Sorgen am größten sind. Es werden auch Perspektiven darüber hinaus eröffnet – zum Beispiel ist der hier beschriebene Ansatz anschlussfähig für die Einführung eines CO2-Preises. Neben der Betrachtung von Potentialen für die nationale Wirtschaft werden zudem auch die entwicklungspolitischen Chancen eingehender beschrieben.

Dieses Papier versteht sich als ein atmendes Impulspapier für die weitere Diskussion auf allen Ebenen der Sozialdemokratie, um die ROTE ENERGIEWENDE zu einer strukturpolitischen, sozialdemokratischen Erfolgsgeschichte zu machen. Input, Feedback und Diskussionsbeiträge sind ausdrücklich erwünscht.

 

Vorbemerkung

Mit der Energiewende steht unsere Gesellschaft vor einem der größten und umfassendsten Transformationsprozesse überhaupt. Eines steht fest: der Wandel ist unbedingt nötig, damit wir unsere Lebensgrundlage – unseren Planeten und sein Ökosystem – erhalten können. Wir fühlen uns den Zielen aus dem Übereinkommen von Paris vollumfänglich verpflichtet. Wir wollen die Energiewende vorantreiben, und wir wollen dafür eine gestaltende Kraft sein.

Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist es dabei unsere besondere Aufgabe, eine Antwort auf diese große Herausforderung zu finden, die nicht nur ökologisch, sondern auch sozial und ökonomisch verträglich ist. Dabei ist uns bewusst, dass der Wandel nicht immer reibungslos verlaufen kann und es auch schmerzhafte Veränderungen geben wird. Mit kluger industrie- und arbeitsmarktpolitischer Begleitung, vorausschauendem wirtschaftlichem Handeln und Solidarität gegenüber denjenigen, die von diesem Wandel in besonderem Maße betroffen sind, kann es uns jedoch gelingen, große Brüche zu vermeiden und stattdessen die gewaltigen Chancen zu nutzen, die mit dieser Herausforderung einhergehen.

  • Die Chancen in den Blick nehmen: Solidarisch – Nachhaltig – Erfolgreich

Teilhabe an Erfolg und gesellschaftlichem Fortschritt zu ermöglichen ist integraler Bestandteil der sozialdemokratischen DNA. Indem wir auf die Chancen fokussieren und den Wandel moderieren, eröffnen wir die Möglichkeit, alle Akteure in den Dialog miteinzubinden und niemanden zurückzulassen.Die Energiewende betrifft uns alle. Wie bei allen großen Transformationsprozessen gibt es aber auch hier Teile der Gesellschaft, die stärker betroffen sind als andere. Unsere besondere Aufmerksamkeit muss vor allem ihnen gelten. So müssen wir beispielsweise beim Ausstieg aus der Braunkohle frühzeitig umfassende Konzepte für eine arbeitsmarktpolitische Begleitung der Kumpel entwickeln, und ihnen von Anfang an Perspektiven eröffnen. Damit sie auch in Zukunft mit guter Arbeit ihren wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten können – zum Beispiel in der Erzeugung regenerativer Energie oder in der Wasserstoffproduktion. Oder wenn im Zuge der Elektrifizierung auf der Straße Jobs in der Automobilproduktion und bei den Zulieferern bedroht sind – dann müssen wir den Betroffenen helfen, damit sie nicht auf der Strecke bleiben. Zum Beispiel, indem wir für sie Perspektiven in der Batterie- oder Brennstoffzellenproduktion schaffen, oder in der Konzeption von Technologien für die Sektorenkopplung.

  • Wir wollen den Wandel solidarisch gestalten.

Die Energiewende ist unbedingt erforderlich. Wollen wir die Grundlagen unseres Lebens und Wohlstands erhalten, so müssen wir – gemäß den europäischen und nationalen Verpflichtungen aus dem Pariser Übereinkommen – alles in unserer Macht Stehende dafür tun, die globale Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Wert auf höchstens zwei Grad Celsius zu begrenzen. Wir sind es nicht nur unseren Kindern schuldig, dieser Verpflichtung nachzukommen: Klimatische Veränderungen und klimatisch bedingte Wetterextreme beeinflussen bereits heute in vielen Teilen der Welt den Alltag zahlloser Menschen – auf teilweise katastrophale Art und Weise. Insbesondere Menschen mit geringem Einkommen sind überproportional von negativen Umwelt- und Klimaeinwirkungen betroffen. Deswegen ist es das Ziel von sozialdemokratischer Umweltpolitik, mehr Umweltgerechtigkeit zu schaffen. Was den Klimaschutz angeht, muss Deutschland seine Vorreiterrolle im europäischen Verbund erneuern und ausbauen; gleichermaßen die Europäische Union in der Welt. Nichts ist langfristig gesehen unsozialer und wirtschaftsschädlicher, als die fahrlässige Zerstörung unserer Umwelt und unserer Erfolgsbasis.

  • Wir wollen den nachhaltigen Wandel.

Die Energiewende kann und soll eine Erfolgsgeschichte werden. In ihrem Zuge werden sich die Dinge ändern – in der Industrie, auf dem Arbeitsmarkt und auch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Aber diese Veränderung muss nicht zum Schlechten sein; im Gegenteil: Klug gelenkte Veränderung birgt stets die Chance für großen Fortschritt. In der Erzeugung erneuerbarer Energie, der Entwicklung und Produktion von Speichertechnologien für die Koppelung der Sektoren, in der Verkehrswende – in allen Teilbereichen der Energiewende liegen gewaltige Arbeitsmarktpotenziale. Das heißt: Unzählige Chancen für sinnstiftende, gut bezahlte und zukunftssichere Arbeit. Seit Anfang des Jahrtausends sind allein nur in den erneuerbaren Energien unterm Strich etwa 400.000 Arbeitsplätze entstanden – obwohl die politischen Rahmenbedingungen insbesondere unter Schwarz-Gelb teilweise sehr unsicher gewesen sind. Bis 2050 könnten es mehr als doppelt so viele sein. Für alle Sektoren kommen zahlreiche Studien zu dem Ergebnis, dass Arbeitsplatzverluste auf der einen Seite – zum Beispiel aufgrund sinkender Beschäftigung im Bereich der konventionellen Energieerzeugung – durch neue Wachstumspotenziale auf der anderen Seite mehr als kompensiert werden können, wenn man hierfür die richtigen Weichen stellt. Wir wollen den dafür nötigen Boden bereiten, den Akteuren verlässliche Rahmenbedingungen bieten und auch bei diesen so wichtigen Zukunftstechnologien der Energiewende eine Vorreiterrolle für Deutschland behaupten. Großer wirtschaftlicher Erfolg, Hand in Hand mit ökologischer und sozialer Verantwortung – bei all ihren Herausforderungen bietet uns die Energiewende eben auch gerade diese Chance.

  • Wir wollen mit dem Wandel erfolgreich sein.

 

Sektor: Wärme (/ Kälte)

Der Blick auf den Status Quo im Wärmesektor fällt unbefriedigend aus. Stellenweise bewegen wir uns hier sogar in die falsche Richtung. So sank der Anteil des Endenergieverbrauchs für Wärme und Kälte aus erneuerbaren Energien für 2017 gegenüber dem Vorjahr sogar um 0,3 Prozentpunkte. Gleichzeitig wurden wieder mehr fossile Energieträger verbraucht. Wir wollen uns mit Nachdruck dafür einsetzen, auch im Wärmesektor die Trendwende einzuleiten; immerhin zeichnet dieser sich verantwortlich für etwa ein Drittel der Deutschen Treibhausgasemissionen.

Um das Ziel einer langfristig weitgehend vollständig defossilisierten Energieversorgung im Bereich Wärme und Kälte zu erreichen, müssen wir die volkswirtschaftlichen Mehrkosten fossiler Energieträger durch deren schlechtere Ökobilanz besser im Verhältnis der Preise für die Wärmeversorgung abbilden. Das bedeutet zum Beispiel eine günstigere Anrechenbarkeit von Biogas und strombasiertem, also klimaneutral synthetisiertem Methan.

Zahlreiche Studien und wissenschaftliche Untersuchungen zeigen uns, dass uns diese Trendwende jedoch nicht im notwendigen Umfang gelingen wird, wenn wir nicht auch deutliche Fortschritte bei der Effizienz machen. Dafür müssen wir die energetische Sanierungsquote des Bestands an Wohngebäuden deutlich erhöhen. Aber: Als Sozialdemokraten müssen wir auch hier ganz genau die soziale Komponente im Blick haben. Es darf nicht passieren, dass die Kosten für diese Maßnahmen wie bisher zu oft einseitig zu Ungunsten der Mieterinnen und Mieter verteilt werden. Das ist besonders wichtig vor dem Hintergrund des ohnehin teilweise extrem angespannten Wohnungsmarktes. Einerseits bedeutet das, das wir uns in Übereinstimmung mit den Mieterschutzbünden zwar klar und deutlich für energetische Sanierungen aussprechen – im Sinne des Umweltschutzes genauso wie im Sinne des Verbraucherschutzes. Andererseits werden wir aber Vermieter und Immobilienunternehmen zukünftig stärker in die Pflicht nehmen müssen, sich an der Energiewende zu beteiligen – denn Eigentum verpflichtet, so steht es in unserem Grundgesetz. Die Absenkung der Modernisierungsumlage durch unsere Bundesjustizministerin Katarina Barley war dafür ein wichtiger erster Schritt. Ein weiterer wichtiger Schritt wird das geplante Gebäudeenergiegesetz werden. Hier wollen wir uns für eine ambitionierte Definition des Niedrigstenergiestandards einsetzen, der entsprechend der EU-Vorgaben zukünftig für bestimme Neubauten gelten soll.

 

Sektor: Verkehr

Die Versorgung des Verkehrssektors mit Erneuerbarer Antriebsenergie stagniert. Im Schnitt der letzten Jahre ist der Anteil bezogen auf Schiene und Straße mit etwas über fünf Prozent gleich geblieben, innerhalb der letzten zehn Jahre sogar um beinahe ein Prozent gesunken – das kommt vor allem daher, dass der Energiebedarf im Verkehrssektor überproportional zum EE-Anteil wächst. Tatsache ist aber: Die Regulierung von CO2-Emissionen im Verkehr ist sowohl klima- als auch industriepolitisch von immenser Bedeutung. Wir müssen auf der einen Seite sicherstellen, dass Entwicklungs- und Fertigungskapazitäten in Deutschland und Europa gesichert bleiben – und gleichzeitig in der Automobilindustrie Anreize für den Umstieg auf zukunftstaugliche Fahrzeugtechnologien setzen. Die Konkurrenz schläft nicht: Mehr als die Hälfte des gesamten Weltmarktes im Bereich Elektromobilität entfällt derzeit auf China – mindestens 5 Millionen elektrisch angetriebene PKW sollen dort bis 2020 auf den Straßen unterwegs sein. Das ist ein enormes Wirtschaftspotential.

Die SPD steht zudem für einen öffentlichen Personennahverkehr, der  hochinnovativ in die Zukunft geht. Busse des ÖPNV bieten als eine vielfahrende Flotte ein enormes Potential zur Reduzierung von umweltschädlichen Emissionen wie CO2, aber auch Stickoxid im deutschen Verkehrssektor. Im Hinblick auf die Steuerung und Förderung des Markthochlaufs von emissionsfreien E-Bussen im öffentlichen Personenverkehr sind andere Länder bereits weiter als Deutschland. Innerhalb der nächsten zwei Jahre wird beispielsweise die 40.000 öffentliche Busse umfassende Flotte in Peking zu einem Drittel emissionsfrei umgerüstet werden. Die über 12 Millionen Einwohner starke chinesische Stadt Shenzhen hat innerhalb von acht Jahren sämtliche der knapp 16.500 öffentlichen Busse komplett auf emissionsfreie Antriebe umgerüstet. Im Vergleich mit Deutschlands Hauptstadt Berlin, in der ca. 1.400 öffentliche Busse verkehren, wurde in Shenzhen somit im Zeitraum von 2010 bis 2018 eine komplett emissionsfreie Flottenerneuerung in der 11,5-fachen Anzahl der Berliner Busflotte realisiert.  Die bestehenden Förderstrategien für emissionsfreie Busse in Deutschland müssen wir daher verstetigen und ausbauen. Ein signifikant erhöhter Einsatz von emissionsfreien E-Bussen in Deutschland würde neben den ökologischen Vorteilen auch die Nachfrage nach Wasserstoff und ökologisch erzeugtem Strom erhöhen und somit eine verlässliche Grundlage für Anbieter dieser Energiequellen und der damit verbundenen Wertschöpfungsketten bilden.

Die wichtigsten Bausteine einer roten Verkehrswende sind Fahrzeuge, die über einen Elektromotor angetrieben werden, der über eine Brennstoffzelle oder eine Batterie gespeist wird. Insbesondere bei der Wasserstoff-Brennstoffzelle ergeben sich zahlreiche Vorteile und Anknüpfungsmöglichkeiten für die Sektorenkopplung. zudem ist hier die Wertschöpfung deutlich tiefer und das Potential für nationale bzw. europäische Wertschöpfung gerade in kurzfristigen Zeiträumen kürzer als etwa bei der Batteriezellproduktion, bei deren Ausbau wir uns zunächst gegen die (insbesondere aus dem asiatischen Raum stammende) etablierte Konkurrenz behaupten müssten.

Mittelfristig und insbesondere im Bereich der Forschung und Entwicklung (etwa hinsichtlich der nächsten Generation der Batterietechnik) müssen wir aber auch in diesem Bereich Fahrt aufnehmen.

Auf die Automobilindustrie kommt ein großer Strukturwandel zu, dies zeichnet sich immer deutlicher ab. Unser sozialdemokratischer Anspruch muss es gerade für diese so wichtige Schlüsselindustrie sein, diesen Prozess zu begleiten und nicht nur ökologisch, sondern auch sozial verträglich und ökonomisch verantwortlich zu gestalten. Diesem Anspruch muss Rechnung getragen werden, etwa durch eine umfassende wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Begleitung des Wandels und mithilfe von Instrumenten wie einem Chancenkonto oder einem auf EU-Ebene diskutierten „Just-Transition-Fonds“ zur Finanzierung von Um- und Weiterqualifizierungsmaßnahmen (das sog. „Up- & Reskilling“) für Beschäftigte, die im Rahmen der Verkehrswende den Arbeitsplatz oder das Einsatzgebiet wechseln werden. Die SPD nimmt vorhandene Sorgen von Beschäftigten ernst und steht für eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die die Kaufkraft von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erhöht, ihre Beschäftigung sicherstellt und ausfinanzierte lebensstandardsichernde Maßnahmen der beruflichen Vorbereitung auf neue Tätigkeitsbereiche garantiert. Dies ist möglich.

 

Sektor: Strom

Im Bereich der Stromerzeugung sind wir bereits auf einem guten Weg, dürfen aber nicht nachlassen. Tatsächlich ist das Projekt der Energiewende in Deutschland bisher vor allem eine Stromwende. 2017 betrug der Anteil der erneuerbaren Energien an der Gesamtstromproduktion mehr als ein Drittel und damit deutlich mehr als etwa Braun- und Steinkohlekraftwerke.

Den größten Beitrag liefert hier die Windenergie, die zugleich auch für den größten Anteil des Zuwachses erneuerbarer Stromproduktion verantwortlich ist. Angesichts dieser hohen Relevanz muss es uns beunruhigen, dass es bei so gut wie allen Windpark-Projekten Akzeptanzprobleme und Widerstände von Teilen der Bevölkerung gibt. Wir wollen deshalb auf Seiten der Bevölkerung für eine bessere Erklärung und mehr Akzeptanz kämpfen. Gleichzeitig wollen wir aber auch die Verfahren der Planung und der Bürgerbeteiligung verbessern, den Dialog stärken und alle Beteiligten mehr als bisher in die Pflicht nehmen, um wirtschaftliche, ökologische und soziale Aspekte gleichermaßen zu berücksichtigen und bestmöglich auszubalancieren.

Insbesondere in den Bereichen der Stromerzeugung aus Biomasse und Sonne haben wir in den vergangenen Jahren teilweise nicht die Aus- und Zubauquoten gesehen, die wir uns wünschen würden. Wir wollen deshalb prüfen, wie wir die Rahmenbedingungen anpassen können, um Produzenten und Innovationstreibern im Bereich der EE-Stromerzeugung und –bereitstellung sichere Rahmenbedingungen zu bieten, um hier wieder mehr Fahrt aufzunehmen.

Die Stromwende und damit die Energiewende weiter voranzubringen, ist dabei nicht nur ökologisch nachhaltig und wirtschaftlich vernünftig, sondern auch ein wichtiger sozialer Aspekt: Allein in den letzten 10 Jahren sind nur im Bereich der Windenergie 100.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Es besteht hier ein enormes Potential, das gerade auch der regionalen Wirtschaft helfen kann. Denn bereits heute entfällt ein Drittel der Arbeitsplätze auf Betrieb und Wartung der Anlagen vor Ort, Tendenz steigend.

Wir wollen gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Industriepartnern dafür Sorge tragen, dass von diesem Potential gerade auch die profitieren können, die in besonderem Maße durch die Energiewende betroffen sind – beispielsweise Menschen, die bisher in der Braunkohleförderung und –verstromung gearbeitet haben. Damit uns das gelingt, müssen wir frühzeitig einen umfassenden Plan für eine industrie- und arbeitsmarktpolitische Begleitung entwickeln – auch hier bedarf es entsprechender Programme für Um- und Weiterbildung, und auch hier könnte ein entsprechendes Chancenkonto einen möglichen Ansatzpunkt bieten.

 

Entwicklungspolitische Aspekte

Energie- und Wirtschaftspolitik ist im Kontext der Energiewende auch eine soziale Frage, und zwar auf der ganzen Welt. Während in Deutschland insbesondere Haushalte mit niedrigen Einkommen sowie ältere und kranke Menschen als erstes von negativen Umwelteinwirkungen betroffen sind, ist in globaler Hinsicht insbesondere die Bevölkerung in Entwicklungsländern vielfältigen und dramatischen Bedrohungen durch den Klimawandel ausgesetzt. Die Szenarien reichen von saurem Regen in Industrieclustern über schwindende Landmasse von Inselstaaten und Küstenregionen bis hin zu Dürren und Überschwemmungen in Verbindung mit extremer Nahrungsknappheit. Dabei muss klimabedingte Fluchtmigration in bisher ungekannten Ausmaß erwartet werden.

Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass der weltweite Energiebedarf weiter steigen wird. Der Energiesektor ist nach wie vor für ca. 60 % aller globalen CO2-Emissionen verantwortlich – und dies, obwohl 1,3 Milliarden Menschen keinen, 2 Milliarden Menschen lediglich eingeschränkten Zugang zu Elektrizität haben. Die Elektrifizierung schreitet aber beständig weiter voran. Gleichermaßen im Verkehrssektor: Die Anzahl der PKW-Besitzer weltweit steigt. Während sich ausbreitende Teilhabe an gesellschaftlichem Wohlstand und Fortschritt sehr wünschenswert ist, erhöht der dadurch steigende Energiebedarf die Notwendigkeit globaler Lösungsansätze umso mehr. Kohle und Öl haben trotz internationaler Fortschritte beim Ausbau von grüner Energie global weiterhin eine enorm hohe Verbreitung, und viele konventionelle oder nukleare Kraftwerke sind weltweit neu im Bau.

Die Bewältigung der Herausforderungen der Energiewende ist demnach selbstverständlich keine national begrenzte, sondern eine globale Aufgabe. Gleiches gilt aber auch für die Perspektive der Chancen, welche die ROTE ENERGIEWENDE besonders in den Blick nimmt.

Grundlage dafür ist die Anerkennung globaler gegenseitiger Abhängigkeiten als Chance. Nationale Energieautarkie ist nicht erstrebenswert sondern kontraproduktiv. Die internationale Aufgabenteilung und Vernetzung unterschiedlicher Nationen und Regionen mit ihren jeweiligen Standortvorteilen und Ressourcenzugängen ist deutlich effektiver, viel effizienter – auch energetisch – und bietet außerdem das Potential, den Fortschritt in Entwicklungsländern zu beschleunigen – und zwar in deren eigener Verantwortung als Wirtschaftspartner auf Augenhöhe. Dabei müssen wir den Begriff der Ressourcen im 21. Jahrhundert neu denken: Gemeint sind hier nicht länger nur Ölvorkommen und dergleichen, sondern Sonnenreichtum, Windstärke und Gewässer. Regionen also, die sich besonders für die Erzeugung von Solarenergie, Wind- oder Wasserkraft eignen, um nur einige Beispiele zu nennen. So könnte beispielsweise in Afrika deutsche Technologie aus den Bereich der solaren Stromerzeugung, der Kraft-Wärme-Kopplung und der Elektrolyse in großtechnischen Industrieanlagen zur Erzeugung von Wasserstoff eingesetzt werden, der dann wiederrum für eine Vielzahl von Anwendungen eingesetzt werden kann – von der netzdienlichen Speicherung bis hin zur Brennstoffzelle auf der Straße.

Mit Blick auf die benötigte Technologie könnte Deutschland in dieser Perspektive zu einem der führenden Entwicklungs- und Fertigungsstandorte einer international vernetzten grünen Energiewirtschaft werden, während der Einsatz der Anlagen und die Energieproduktion dort stattfindet, wo erneuerbare Energien besonders einfach erzeugt werden können. Dann spielen auch Umwandlungsverluste für die Erzeugung chemischer Energiespeicher nur noch eine untergeordnete Rolle, während diese Energieträger deutlich einfacher als Strom gespeichert und transportiert, und damit effektiver eingesetzt werden können. Gleichzeitig wird am Standort der Erzeugung eine völlig neue Wertschöpfungskette eröffnet. Die kann auch überregional zu einer wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung beitragen und Teilhabe an neuem Wohlstand ermöglichen. So wird Entwicklungspolitik zu einer echten Hilfe zur Selbsthilfe, durch technologische Emanzipation und ökonomische Inklusion.

 

Sektorkopplung

Im Rahmen der Europäischen Einigung ist vorgesehen, dass wir bis 2030 mindestens 32 Prozent unseres Gesamtenergiebedarfs aus erneuerbaren Energien bereitstellen. Der nationale Klimaschutzplan 2050 bestätigt ebenfalls für 2030 zudem das Ziel einer Treibhausgasminderung von mindestens 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990. Gleichzeitig sehen wir, dass wir bisher nur im Stromsektor nennenswerte Fortschritte bei der Energiewende gemacht haben, während dieser im Wärme- und Verkehrsbereich stagniert.

Damit wir die enormen wirtschaftlichen Chancen der Energiewende nutzen und gleichzeitig unsere Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz behaupten können, braucht es neben den konkreten Maßnahmen in den einzelnen Sektoren außerdem eine übergreifende Strategie für alle Sektoren. Dafür wollen wir auch die Energieeffizienz verbessern, also insbesondere Umwandlungs- und Transportverluste vermeiden. Auch Energiesparsamkeit ist wichtig; solange grüne Energie ein knappes Gut ist, hilft uns jede vermiedene Kilowattstunde die Energiewende zu beschleunigen, und spart gleichzeitig auch Kosten bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Ebenso wichtig ist aber auch die Frage der Effektivität. Maßgeblich für unsere Gestaltung der Energiewende sind unsere Ziele, genauer gesagt das Zieldreieck aus sozialer Verantwortung, Nachhaltigkeit und ökonomischem Erfolg. Technologiepfade und Prioritätensetzung müssen an diesen Zielen ausgerichtet werden. Technologieoffenheit muss in diesem Kontext gerade bedeuten, dass in jedem Anwendungsfall gerade die Technologie zum Einsatz kommt, die in der Systemgesamtbetrachtung den Zielen am ehesten zweckdienlich ist. Effizienz muss hier insofern als Mittel zum Zweck dienen, als dass die noch begrenzte Ressource grünen Stroms so eingesetzt werden muss, dass wir unsere Ziele bestmöglich erreichen.

In der Perspektive der ROTEN ENERGIEWENDE kommt der Sektorenkopplung – also der Nutzung von Synergieeffekten aus allen Sektoren miteinander – deshalb eine ganz zentrale Rolle zu. Trotz teilweise auftretender Effizienzverluste werden nicht nur Strom, sondern auch chemische, flüssige und gasförmige Energiespeicher für eine erfolgreiche Energiewende von zentraler Bedeutung sein. Mit regenerativ erzeugtem Strom können wir beispielsweise Wärmepumpen betreiben, und so nicht nur die Energieeffizienz, sondern auch die Treibhausgasbilanz im Wärmebereich deutlich verbessern. Oder wir nutzen grünen Strom für die Erzeugung von treibhausgasneutralem Methan, das im Verkehrssektor oder im Wärmebereich Anwendung findet. Gleichermaßen können wir über eng verwandte technische Verfahren – insbesondere Elektrolyse – mit Strom aus erneuerbaren Quellen grünen Wasserstoff herstellen, mit dem wir Brennstoffzellen-Fahrzeuge antreiben. Die Anwendungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten sind zahlreich, die ökonomischen Potentiale gewaltig.

Die Mehrheit der verfügbaren Studien geht heute davon aus, dass in Deutschland bis 2050 auf Grund der energiepolitischen Implikationen der Energiewende 100 bis 350 GW an Elektrolyseleistung installiert sein müssen. Daraus entstünde mit der richtigen energiepolitischen und wirtschaftlichen Strategie ab 2030 ein Absatzmarkt von 5 GW bis 17 GW jährlich mit einem Jahresumsatz von 6 bis 20 Milliarden Euro. Alleine für die Elektrolyseproduktion würden somit kurzfristig bis zu 90.000 Beschäftigte benötigt. Hinzu kommt das Personal für Betrieb, Service und Instandhaltung, so dass insgesamt bis zu 100.000 Arbeitsplätze im Bereich der heimischen Elektrolysefertigung entstehen können. Das gleiche Potential wird für den Brennstoffzellen-Markt gesehen. Gesteigerter Bedarf entsteht beispielsweise für Fachkräfte aus dem Ingenieurswesen (bspw. Elektronik und  Maschinenbau), aus der Mechatronik, der Servicetechnik, der Anlagenmechanik, dem Rohrleitungsbau sowie für Kaufleute und Verwaltungskräfte. Hinzu kommt das Wertschöpfungspotential bei externen Dienstleistern sowie Zulieferern von Betriebsmitteln, Bauteilen und Rohstoffen.

Berücksichtigt man die Exportpotentiale der gefertigten hochqualitativen Produkte, fällt das Potential noch größer aus. Ebenso müssen selbstverständlich die Arbeitsplätze in Tankstellen mitbetrachtet werden. Aktuell arbeiten weit über 70.000 Menschen in Deutschland in diesem Bereich. Diese Arbeitsplätze würden in einer reinen batterieelektrischen Mobilität entfallen. Auch dies unterstreicht die Notwendigkeit der Technologieoffenheit bei der sektorenübergreifenden Gestaltung der Energiewende.

Um die Grundlage für die Nutzung dieser Potentiale zu erweitern, wollen wir uns verstärkt für den Ausbau der entsprechenden Infrastruktur einsetzen; das gilt sowohl für die Ladeinfrastruktur als auch für den Netzausbau. Dabei gilt es zu beachten, dass wir nicht nur den streckenmäßigen Netzausbau fördern, sondern zunehmend auch die Steigerung der Intelligenz der Netze in den Blick nehmen.

Eine sozialverträgliche und nachhaltige Energiewende, davon sind wir überzeugt, ist machbar – und zwar sehr wohl bei gleichzeitigem wirtschaftlichen Erfolg. Trotzdem werden kurzfristig Investitionen und Kosten auf uns zukommen. Zur Unterstützung der Finanzierung der ROTEN ENERGIEWENDE wollen wir deshalb die Einführung eines einheitlichen CO2-Preises prüfen, der für alle Bereiche gelten würde, die nicht unter das ETS (Emission Trading System) der EU fallen. Dieser sogenannte Non-ETS-Bereich umfasst etwa den Straßen- und Schienenverkehr, den Gebäudebereich, die Landwirtschaft, die Abfallwirtschaft sowie kleinere Energieerzeugungs- und Industrieanlagen – und ist damit insgesamt für etwa 60% aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Ein einheitlicher CO2-Preis über all diese Bereiche hinweg könnte zu mehr Transparenz, vereinfachten Regeln und Verfahren sowie zu faireren Wettbewerbsbedingungen zwischen den verschiedenen Energieträgern und Technologien führen, und damit einer erfolgreichen Energiewende zu massivem Vorschub verhelfen.

 

 

 Appell für eine umfassende industriepolitische Wasserstoffwirtschafts-Strategie

Der Deutsche Wasserstoff- und Brennstoffzellen Verband e. V. appelliert mit der Clean Energy Partnership und Herrn Andreas Rimkus, MdB für eine ganzheitliche industriepolitische Wasserstoffwirtschafts-Strategie auf Bundesebene. Wasserstofftechnologien sind der Erfolgsschlüssel der Energiewende, da sind sich die meisten Experten einig. Mit dem Energieträger Wasserstoff wird eine versorgungssichere, nachhaltige und wirtschaftliche Energiewende in allen Sektoren möglich sein. Die strategische Ansiedlung einer Brennstoffzellen- und Elektrolysefertigung sowie einer sektorenübergreifenden Wasserstoffwirtschaft in Deutschland, durch eine gezielte wirtschafts- und energiepolitische Steuerung, bietet die Chance bis 2030 über 70.000 Arbeitsplätze neu zu schaffen. Bis 2050 würde sich sogar ein Marktpotential von weit über 40 Mrd. EUR pro Jahr mit über 150.000 Arbeitsplätzen ergeben. Global sehen Experten sogar ein Potential für über 30 Mio. Arbeitsplätzen mit über 2.000 Mrd. EUR Jahresumsatz.

Download PDF-Dokument Appell Wasserstoffwirtschafts-Strategie